Räume des Erlebens statt der großen Leere

Nun ist es wieder soweit: wir stehen vor dem zweiten Lockdown, mit dem die Ausbreitung von Covid-19 reduziert werden soll. Neben der Gastronomie und vielen weiteren Orten müssen auch Museen und Ausstellungsräume schließen. Besonders bedauernswert ist dies angesichts der kommenden Wintermonate, in denen gerade diese Kulturinstitutionen – nicht zuletzt aufgrund reduzierter Alternativen zur Freizeitgestaltung - die Möglichkeit hätten, Besucher anzusprechen und neue Interessierte zu gewinnen.

Wir alle im Kulturbereich wünschen uns natürlich volle Häuser – doch sind dies, seien wir ehrlich, eher seltene Erscheinungen. Sie treten im Ausstellungsbetrieb eher auf, wenn eine Präsentation eröffnet wird oder wenn sie – durch Medien gelobt oder durch einen üppigen Werbeetat gehypt – auf ihr Ende zugeht, also in wenigen Tagen geschlossen wird. Im Normalfall allerdings bleiben die Besucherzahlen pro Tag doch eher übersichtlich und so bleibt meist mehr als genug Raum, um einen gesunden Abstand zu anderen Besuchern zu wahren. Mehr jedenfalls als in jedem Supermarkt, in dem es bei den Rangeleien um Mehl, Trockenhefe und Toilettenpapier schon mal zum Körperkontakt mit Personen eines fremden Hausstands kommen kann. Zudem haben unsere Kulturinstitutionen in den letzten Monaten gezeigt, dass sie Willens und in der Lage sind, tragfähige Hygienekonzepte zu entwicklen und durchzuführen. Gerade im Ausstellungsbereich ist es darüber hinaus schon seit einigen Jahren üblich, den Besucherstrom per Zeitfenster zu regulieren, um so eine Überfüllung der Räume zu verhindern.

Menschen sind von Natur aus sehr verschieden. Damit ist weniger die Heterogenität der Herkunft oder der Hautfarbe gemeint, sondern die der Naturelle; eine Heterogenität, bei der Verängstigte auf Gleichgültige, Risikopatienten auf Ignoranten treffen und sich zwischen diesen Polen jede Nuance und Abstufung finden lässt. Nun können Menschen, die sich aus Furcht vor einer Infektion mit Covid-19 nicht in der Öffentlichkeit bewegen wollen, Dinge des täglichen Bedarfs liefern lassen. Besonders glücklich jene, deren Familie, Freunde oder Nachbarn diese Versorgung übernehmen, was nach den Erfahrungen des ersten Lockdowns dankenswert gut funktioniert hat. Diese Personen werden sich aber ganz individuell überlegen, ob die Hygienemaßnahmen der Ausstellungshäuser für sie persönlich genug Sicherheit bieten. Als unverbesserliche Optimistin gehe ich jedoch davon aus, dass alle anderen, die Ausstellungen und Museen besuchen wollen, über einen funktionierenden Denkapparat und ein Mindestmaß an Empathie verfügen. Vulgo: Sich an die vorgegebenen Hygienemaßnahmen halten.

Natürlich finden nicht alle Ausstellungen in gut durchlüfteten Räumen statt. Wo sollte man also die Grenze ziehen, welche Orte geöffnet bleiben sollen und welche nicht? Doch im Zweifelsfall sind diese Orte viel zu klein, um sich zu einem Corona-Hotspot zu entwickeln – sicherlich bergen sie nicht mehr Ansteckungsgefahr als eine gut gefüllte U-Bahn. Und größere Häuser stehen ohnehin unter genauer Beobachtung und sind aus Fragen der Reputation und häufig auch der Finanzierung dazu angehalten, ihre Hygienekonzepte minutiös durchzuführen. Und in Bezug auf die Besucher sollten wir dem gesunden Menschenverstand und dem individuellen Verantwortungsgefühl Raum lassen.

Am Ende steht die Frage nach der Kultur. Was erwarten wir von ihr? Erbauung, Ablenkung, unbekannte Welten. Aber auch Erfahrung, Inspiration und Fragestellungen, die zum Nachdenken anregen. Dazu anregen, eine eigene Position zu den Begebenheiten unseres Lebens zu entwicklen. Neues zu lernen, historisches wiederzuentdecken. Und dies möglichst als reales Erleben jenseits der eigenen vier Wände oder des virtuellen Raums. Gerade in einer Zeit wie der Corona-Pandemie benötigen wir dies mindestens ebenso wie Mehl und Toilettenpapier.

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